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1 PAIN 2 PRIX

14.08.2025

1 PAIN 2 PRIX
Jean-Damien Fleury versteht sich als sozialer Akteur, sein Werk als Aufforderung und zuweilen auch Handlungsanleitung. Medium und wiederkehrende Konstante in seinem Werk ist das Plakat als Einladung an die Betrachter zu interagieren. Das Wirken von Fleury ist in einer gesellschaftspolitischen, kritischen Tradition zu sehen mit entschiedenem Fokus auf soziale, gesellschaftliche, kulturelle Brennpunkte. Es sind «les rapports de force», die den Künstler interessieren, die Machtverhältnisse zwischen Kulturen, Generationen, Gender, Natur & Kultur mit dem Wunsch, «de créer des stimulations» für den agierenden Betrachter. Das Projekt «1 pain, 2 prix», das Jean-Damien Fleury 1989 für Belluard Bollwerk entwickelt, dreht sich um ein s/w Plakat, das während 6 Tagen in Freiburg im öffentlichen Raum, in Lebensmittelgeschäften und Bäckereien zu sehen war. 30% der Bäckereien oder Supermärkte waren bereit, teil des Projektes zu werden. Wie in seinen anderen Plakaten bedient sich der Künstler der Werbewirksamkeit und den Spielregeln des Plakats, um mittels seiner eigenen Sprache ein interaktives Terrain neu aufzufächern, das jedem offensteht. Mit seiner durchschlagenden Botschaft zog «1 pain, 2 prix» die Betrachter sogleich in Bann: Werbewirksame, kurze Worte versprachen ausserordentliche Schnäppchen. Brot, ein elementares Nahrungsmittel, das anscheinend preiswert angeboten wird, wird von einer androgyn und ausdruckslos wirkenden Figur, angepriesen: breitbeinig steht sie da, emotionslos, schwarz gekleidet, eine Baguette in der Hand haltend, in einer Position, als handle es sich um einen Knüppel, drohend, bereit zur Aktion. Es folgt eine Aufforderung zur Aktion am unteren Ende des Plakats: Vous vous sentez aisé und modeste? Choisissez votre prix ! Wie fühle ich mich? ist sogleich die Frage, die den Betrachter überkommt in einer wohlstandsverwöhnten Schweiz, wo selbstredend Armut selten zur Diskussion kommt. Welchen Preis sollte mir zukommen, welchen Preis soll ich bezahlen für dieses 400 g Brot, das in den Händen der Figur auf dem Plakat gehalten wird? Kein gewinnendes Lächeln, nicht einmal ein Augenzwinkern, keine einladende, ja verlockende Geste, in Träumen versinken zu können, im zu Bild verweilen, und dann diese geschlechtliche Ambivalenz dieser jünglingshaft erscheinenden Verführerin oder eben des weiblich anmutenden Verführers. Diese androgyne Irritation mit dem männlichen Impetus – das phallische Brot als Waffe in der Hand gehalten – lässt den Betrachter immer wieder zum Bild zurückkehren, im Wunsch, dessen Inhalt zu entschlüsseln... Keine Anbiederung, kein mütterliches Broteteilen. Bleibt ein ernst blickendes Augenpaar, das sein Gegenüber herausfordert, die Aktion in Angriff zu nehmen– eine Aktion der freien Wahl wie zugleich eine Aktion des öffentlichen Zugeständnisses: Sind Sie eher wohlhabend oder nicht? Wählen Sie den Preis für Ihr Baguette! Wer wagt gewinnt. Die zu gewinnende Summe ist zu klein, um einen sozialen Mehrwert zu erreichen. Das damit verbundene Symbol ist zu umfassend, um den sozialen Mehrwert zu verkennen. Dass es sich um Kunst handelt, dass die künstlerische Gattung der Performance hier ihr Vermächtnis weiterführt und das soziale Umfeld für eine öffentliche, doch zugleich auch persönliche Aktion auffordert, soll für das alltägliche Gegenüber keine Wichtigkeit haben. Die Aktion, deren Umstände und Folgen stehen im Mittelpunkt. Unterstützt wird diese Kampagne von 8 Filialen, die bereit sind, mit den Brotpreisen «Roulette spielen zu lassen», somit den/die Käuferin wählen zu lassen, was sie ihrer Ansicht nach im wahrsten Sinne «verdient» haben. Ist der individuelle Preis gewählt, wird das Brot in eine papierne Hülle gegeben, aufgedruckt der Hinweis: 2 Prix – 2 Preise: Sind Sie eher wohlhabend oder nicht?: + 1.- / -1.-. Die Verkäufer ihrerseits hoffen, dass die verminderten Eingaben durch die erhöhten Einnahmen ausgeglichen werden. 1 pain, 2 prix» ist ein Angebot zum Dialog über reale Begebenheiten. Die Resultate des Käuferverhaltens wurden statistisch ausgewertet und veröffentlicht: 2'300 Baguettes wurden während dieser Zeit verkauft. 85 % der Schweizer Bevölkerung betrachteten sich eher als arm ein, bezahlten somit einen verminderten Preis - das vorgeschlagene Minimum von 1.60, und nur 15 % waren bereit, den Aufpreis, somit 3.60 zu bezahlen. 3 grosse Supermärkte, die nicht bereit waren, am Projekt teilzunehmen, haben in derselben Zeit eine besonderen Aktionswoche für Baguettes gestartet, eine Folge des Projektes von Fleury, die Konkurrenz herauszufordern, die kurzfristig den Brotpreis um ca. 25% senkt. Schliesslich sind es im Nachhinein die Medien (regionale und nationale Presse, Radio und TV), die im Rahmen ihrer Berichterstattung über das Projekt informieren. Die Diskussion ist im Alltag angekommen, das Projekt wird in der Folge in der Bevölkerung lebhaft diskutiert und Jean-Damien Fleurys Kunst hat sich, wie oft, im Denken & Wirken der Bewohner und Betrachter breit gemacht.