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Pilze

15.03.2023

Pilze
Lange Zeit, von der Antike bis Ende der 1960er Jahre, galten Pilze als Pflanzen, obwohl sie nicht alle typischen Eigenschaften von Pflanzen besitzen. Heute werden sie als eigenes Reich, als lebender Organismus verstanden, eher mit den Tieren verwandt als mit den Pflanzen. Durch Sporenabgabe entsteht ein Netz aus Pilzzellen: das Myzel. Der grösste Teil des Pilzes wächst unter der Erde mit seinen nur wenige Millimeter dicken Fäden (Hyphen), die sich durch das Erdreich bohren und ein zusammenhängendes Geflecht bilden.

Das Reich der Pilze ist somit unsichtbar unter dem Boden als grösster und ältester Organismus der Erde. Da sie zu den frühesten Lebensformen zählen, verdanken seinen Eigenschaften und Fähigkeiten alle Lebewesen ihre Existenz. Durch Abbau und Wiedergewinnung von Boden, Wasser und Luft ermöglichen sie Zerfall, Erneuerung und Weiterentwicklung. Sie sind die Ältesten und die Jüngsten, sind Schöpfung und Erneuerung, ermöglichen die Erfahrung von Vollkommenheit und Sinnhaftigkeit. Sie wirken in der Gemeinschaft, gedeihen überall, in allem, auch in uns. Sie sind unsere Verwandten.

Pilze wirken als Zersetzer toten organischen Materials, ernähren sich von anderen Lebewesen, oder sie leben in einer wechselseitigen Symbiose mit Pflanzen (Mykorrhiza) oder mit Cyanobakterien (Flechten).  Unter den Pilzen gibt es somit, abhängig von Ernährung und Lebensweise, 3 Hauptgruppen: die saphorischen Pilze (Zersetzer), die Mykorrhiza- und endophytischen Pilze (Mutualisten) und die Parasiten. Sie sind sie praktisch überall vorhanden, wo ein geeignetes Substrat verfügbar wird und können sie eine sehr große Bandbreite an Nahrungsquellen nutzen.

Das Myzel dient der Abfallentsorgung und dem Recycling in einem kontinuierlichen Kreislauf, reinigt Luft, Boden und Wasser. Das Myzel wächst und verbreitet sich in Böden und organischem Material und sieht aus wie weisse Spinnweben mit langen Fasern (Hyphen), die sich vermischen. Das Myzel schüttet Enzyme und organische Säuren aus, die das für Struktur und Festigkeit sorgende Lignin in den Zellwänden des Holzes aufbrechen. Während der Verrottung gibt das Holz seine Nährstoffe frei, die schliesslich weiteren Organismen zur Verfügung stehen, so auch den Pilzen als Fruchtkörper, die an die Erdoberfläche treten. Die Bedingungen für Pilzentstehung sind Nährstoffe auf der Wachstumsoberfläche, die Luft und geeignete Temperatur.

Das Myzel ist je nach Gelände unterschiedlich gross, dasjenige, das im Wald wächst, kann riesige Ausmasse annehmen. Das Myzel ermöglicht die Kommunikation zwischen den Pflanzen. Es gilt als das Internet der Bäume (wood wide web), wobei das Internet als Metapher kaum die dynamische Komplexität der Pilznetzwerke erfasst. Bei diesen ist jeder Organismus daran beteiligt, es besitzt einzigartige Begabungen und antwortet aktiv auf wechselnde Bedingungen. Myzel ist ein lebenswichtiger Bestandteil des Bodens. Es ist in der Lage, komplexe Strukturen aufzulösen. Es zersetzt die Rohstoffe, um sie für das Ökosystem verfügbar zu machen.

Wie die Pilze, ist auch der Wald ein Universum, das Zerfall und Erneuerung ermöglicht.  Die Bäume liefern Sauerstoff zum Atmen, reinigen unser Trinkwasser und schützen uns vor Naturkatastrophen. Der Wald ist ebenso Katalysator für neue Formen des Zusammenlebens verschiedenster Pflanzen, Tiere und Organismen. Die Gemeinschaft der Bäume bietet mehr als 25'000 Arten einen Lebensraum. Zwischen diesen gibt es unzählige Beziehungen, die im Laufe der Zeit, sei es durch positives Profitieren voneinander oder durch Symbiosen entstanden sind. Für den Wald ist die gegenseitige Förderung der Arten unerlässlich.

Bäume sind ein Leben lang an ihren Platz im Wald gebunden. Zugleich sind sie soziale Wesen, haben Familienangehörige, Freunde und Feinde. Die Kommunikation untereinander funktioniert mit chemischen Botenstoffen und über das Netzwerk der Pilze (Myzel). Die grössten und ältesten der Bäume, gen. Mutterbäume, sind unterirdisch durch Mykorrhizapilze (Myko = Pilz, Rhiza = Wurzeln) als grosse Kategorie bei den Pilzen, mit allen Bäumen in der Umgebung verbunden. Mykorrhizapilze sind ein Organismus, der eine Symbiose mit Pflanzen eingeht. Diese Wurzelpilze wachsen eng in oder um Pflanzenwurzeln (u.a. um jene der wilden Orchidee). Sein Pilzkörper entwickelt sich um Bodenpartikel, entzieht diesen Nährstoffen und Wasser und stellt sie den Wurzeln des Mutterbaums zur Verfügung. Der Mutterbaum versorgt den Pilz mit Zuckerarten, die mit Kohlenstoff angereichert sind, die der Baum durch Photosynthese gewinnt. Der grösste Teil des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre wird mit Hilfe von Mykorrhizapilzen über die Wurzeln gegen Nährstoffe ausgetauscht. Der Kohlenstoff bleibt unter der Erde. Die Mykorrhizapilze bilden ein Netzwerk aus Fäden, die Wurzeln anderer Bäume in der Nachbarschaft miteinander verbinden, so auch mit dem Mutterbaum und seinem weitreichendsten Wurzelsystem, das mit den meisten Bäumen verbunden ist.

Die Art Mykorrhizapilze ist uralt. Man nimmt an, dass sie die Vorfahren der heutigen Pflanzen dabei unterstützt hat, das Land zu erobern (vor ca. 450 Millionen Jahren). Die Vorfahren waren wasserbewohnende Algen. Sie konnten, einst an sumpfiges Ufer gespült, mit Hilfe von Pilzen, Feststoffe aufbrechen, was zu einer Tauschbeziehung führte, die bis heute anhält.

Pilze als aussergewöhnliche Wesen galten seit der Frühzeit des homo sapiens als Träger geheimer Kräfte, als Gleichnis steter Erneuerung und ewigen Wachstums. Mal werden sie lange nicht gesehen, plötzlich über Nacht erscheinen sie massenhaft.

In steinzeitlichen Höhlen fanden sich in den Schädeln mit Zähnen zwischen 18'000 und 12'000 v. Chr.  Ablagerungen, die einiges über die Ernährungsgewohnheiten verraten: Sie genossen vielfältige Kost, u.a. auch Dickfussröhrlinge der Gattung Boletus. Auch die berauschende Wirkung des Fliegenpilzes war ihnen bekannt. Viele Wissenschaftler sehen in ihm das älteste bewusstseinserweiternde Mittel.

Der Pilz mit der längsten Geschichte in der Anbaukultur ist der Champignon, der Mitte 18. Jh. von französischen Landwirten auf Pferdemist entdeckt wurde. Das Myzel darunter wurde in die Komposterde gebracht, worauf die Pilze wuchsen.
Pilze können nicht nur nähren und heilen, sie können dem Menschen ebenso schaden.

Die Wissenschaft von den Pilzen ist die Mykologie.

Ein Netzwerk aufbauen, Gemeinschaften bilden, Gleichgewicht herstellen als Modell für Zusammenleben
Die Auseinandersetzung mit den Pilzen, somit auch Anleihen ans Myzel, dient heute als unerschöpfliches Potential und Vorbild in der Forschung (Medizin, Umweltsanierung), in der Gemeinschaftsförderung und Gesellschaftsgestaltung, im Bauwesen und Design. In trockener Form kann man Myzel transportieren, somit dieses einige Zeit ruhen lassen. Sobald dieses mit Wasser in Berührung kommt, erwacht es zum Leben.