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Biomimikry: Lernen von der Natur

28.02.2023

Biomimikry: Lernen von der Natur
Die Natur ist Grundlage allen Lebens. Sie zeigt uns, dass nichts in der Natur allein lebt, dass Gemeinschaften eher überleben als Individuen. Die der Natur innewohnende Gestaltungskraft kann uns, durch Verständnis und Anleihen – Biomimikry –, in Kultur und Wissenschaft zeigen, wie wir an einer zukunftsfähigen Gesellschaft bauen können.

Biomimikry wird von den Menschen seit über einer Million von Jahren angewandt und seit dem Beginn der Industriellen Revolution zusehends vernachlässigt.

Heute sind diese Anleihen als innovative und visionäre Methode, wiederum im Fokus, sei es in der Forschung (Medizin, Umweltsanierung), in der Gemeinschaftsförderung und Gesellschaftsgestaltung (in den Darlegungen von Stefano Mancuso oder Jeremy Narby u.a.), in Bauwesen und Design (neue Konstruktionen, Objekte und Habitate, Materialien und Formen) und damit einhergehend in einem umfassenderen Verständnis von Dasein. Bei der Biomimikry oder Biomimetik geht es um einen wissenschaftlichen Ansatz zur Untersuchung biologischer und biomechanischer Prozesse von Organismen, um Prinzipien zu erkennen. Die Natur wird stetes, pulsierendes Leben verstanden, das miteinander vielfältig verbunden ist und als Gemeinschaft wirkt. Alles im Universum ist Energie. Die Erkenntnis wächst, dass durch das Verständnis der Natur mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten sich Lösungen finden, um unsere gemeinsame Zukunft (Natur & Kultur) zu sichern. «Man könnte die Natur als einen Katalog von Produkten betrachten, von denen jedes einzelne eine Forschungs- und Entwicklungszeit von 3,8 Milliarden Jahren durchlaufen hat», sagt der britische Architekt Michael Pawlyn, der sich mit seinen biomimetischen Innovationen einen Namen gemacht hat.

Die Auseinandersetzung mit den Pilzen, somit Anleihen ans Myzel als rhizomatisches Wurzelgeflecht, dient heute als unerschöpfliches Potential und Vorbild in der Forschung, in der Gemeinschaftsförderung und Gesellschaftsgestaltung, im Bauwesen und Design.

Die Auseinandersetzung mit dem Rhizom wurde in der postmodernen Philosophie (Gilles Deleuze / Félix Guattari) als auch im nachfolgenden kulturellen Wirken als Metapher gebraucht für ein poststrukturalistisches Modell und eine Wissensorganisation sowie Weltbeschreibung. Das ältere, durch Baummetapher und hierarchische Strukturen Geprägte wird ersetzt durch ein Gedankenkonstrukt, das nicht hierarchisch und dichotomisch organisiert ist, zugunsten einer Offenheit und somit Veränderbarkeit mit vielfach verflochtenen Strukturen, wo viele Perspektiven und Ansätze frei verkettet werden können.

Pilze und deren Myzel sowie Rhizompflanzen sind wunderbare Lehrmeister, die es vermögen, den Menschen zu entschleunigen und die Aufmerksamkeit den kleinen, zuweilen fast unsichtbaren Dingen zuzuwenden, um über Dasein und Wirken in der Gemeinschaft im Geben und Nehmen zu reflektieren.

Schliesslich kann das wachsende und sich vernetzende Myzel mit den daraus entstehenden Pilzen als sich bildende, lebendige Organismen zu Bedeutungsträgern und Vorbildern werden, als lebende Einheiten, wachsend, fruchtend mit folgendem Prozess des Zerfalls. Dies vermittelt eine Erfahrung, dass jegliche Existenz von Transformation und Veränderung geprägt ist.

In diesem Sinne wollen wir in unserem Projekt Wir sind Natur und Natur ist Kultur – Geflechte, Verbindungen & Kreisläufe ein Netzwerk aufbauen, Gemeinschaften bilden, Gleichgewicht herstellen und Dynamiken ermöglichen als Modell für lebendiges und offenes Zusammenleben.

araignée

araignée

Lebendiges / aus Lebendigem erschaffen und gestalten ist seit einigen Jahren eine Auseinandersetzung, die Gestaltung (Kunst und Design) und Architektur beschäftigt. Unter diesem Leitmotiv hat die Ausstellung und Publikation La Fabrique du Vivant (Paris, 2019, Centre Georges Pompidou) die neuesten Tendenzen vorgestellt.

Diese führen zu einer Befragung unserer zeitgenössischen (Wegwerf-)gesellschaft, und untersucht die Rolle sowie das Potential des Forschers und Designers.

Das Kompetenznetz Biomimetik überträgt als interdisziplinär arbeitendes Netzwerk, Strategien der Natur und in technische Kultur.

Pilze, unser ausgewählter Organismus, mit ihren netzwerkähnlichen Strukturen, die sich ständig ändern und sich neuen Situationen anpassen können, wodurch ein Lernprozess von statten geht, vermögen auch eine Umgebung zu heilen, die unter Katastrophen gelitten hat, sie können Chemikalien aufspalten und Giftstoffe ausschalten, gen. Mykosanierung: Schadstoffe, die sich angesammelt haben, sei es im Boden oder Wasser, können mit Hilfe von Pilzen, zersetzt, absorbiert, unschädlich gemacht oder gebunden werden. Komplexe Kohlenwasserstoffe und giftige Moleküle werden in kleine Teile aufgespalten, sodass andere Mikroorganismen die weitere Arbeit übernehmen und diese vollenden können.

Compost

Compost

So vermag der Weissfäulepilz (Phanerochaete chrysosporium), einer der effektivsten, holzzersetzenden Pilze, ebenso synthetische, toxische und kanzerogene Substanzen zu spalten und abzubauen. Diese besonderen Eigenschaften lassen den Pilz für eine Reihe biotechnologischer Anwendungsmöglichkeiten interessant erscheinen: Abbau von Inhaltsstoffen industrieller Abwässer, Bodensanierung, Aufbereitung von Altlasten, so auch der Abbau von Phenolharzen (Kunstharze) und somit Abbau von Plastik.

Folgerichtig sehen der Designer Maurizio Montalti und sein Team mit ihrem Forschungslabor Officina Corpuscoli (seit 2010 in Amsterdam beheimatet) die Zukunft fungal. Eine «mycophile» Gesellschaft entwickelt sich. Die fungalen Organismen versteht Montalti als entscheidende Player für eine verantwortliche soziale und ökologische Zukunft.  Myzel, das rhizomatische Netzwerk der «fungalen Wurzeln», soll als lebender Organismus im Austausch zwischen Wissenschaft und Kultur erforscht und genutzt werden.
Beispielsweise kleidet Officina Corpuscoli den allseits bekannten, leichten und stapelbaren, Plastikstuhl für einen Rück- und Abbau mit dem Weissfäulepilz ein.
Wie auch einige weitere Forscher, widmet sich Officina Corpuscoli ebenso der Aufgabe, wie man mit dem Myzel der Pilze, das man in trockener Form transportieren kann, somit dieses einige Zeit ruhen und durch Berührung mit Wasser wieder zum Leben erwachen lassen kann, neue, zukunftsträchtige Materialien wachsen lassen kann mit den daraus entstehenden Anwendungsgebieten. So stellt Mogu in Norditalien für Officina Corpuscoli dass mit pflanzlichen Rückstände aus der Agro-Industrie, Behältnisse, Bausteine, schallabsorbierende Paneele und Bodenfliesen, als auch von Myzel eingebundene Bücher (in Kollaboration mit Mazzotti Books) her.

In diesem Bereich leistet das ebenso das in den Niederlanden beheimatete Designer- und Forscher-Duo Klarenbeek & Dros mit ihrem Mycelium Project und der daraus entstandenen Firma Krown zukunftsweisende Materialforschung, die u.a. in innovativem und nachhaltigem Design ihre Gestaltwerdung findet. Bei Grownbio werden diverse Produkte und Anleitungen zu eigenen Kulturen angeboten. Kürzlich wurde ihr Mycelium Chair, 2018, der anlässlich der Ausstellung La fabrique du vivant, 2019, im Centre Georges Pompidou präsentiert wurde, für deren Kollektion angekauft.

Ein weiterer forschender Künstler ist Philip Ross mit seinem Startup-Unternehmen MycoWorks, ein biotechnologisches Unternehmen und eine Plattform für qualitätsvolle Materialien aus Myzel. Mit Hilfe von ausgesuchten Pilzen produziert er Baustoffe und Leder aus landwirtschaftlichem Abfall.

 

brique en myélium

brique en myélium

Eine weitere Firma ist beispielsweise Bolt Thread. Sie verwandelt Myzel in Hochleistungsgewebe und fabriziert Leder, wie auch die Firma Zvnder, die direkt den Zunderpilz, respektive das Innere des Pilzes dazu verwendet weiche, etwas dehnbare Lederstücke zu produzieren, um diese zu Portemonnaies, Mützen oder Accessoires zu verarbeiten. Neuerdings findet sich dieses Gewebe aus Pilzen in der Bekleidungsindustrie, wo Schuhe, Rucksäcke und Kleider hergestellt werden, die u.a. von Mylo und Nat-2 hergestellt werden.

Letztendlich hat im wortwörtlichen Sinne der niederländische Forscher Bob Hendrix aus der Technischen Universität in Delft einen «lebenden» Sarg aus Myzel mit Moosbett entwickelt, den sie mit dem Logo loop (loop-of-life.com) unter dem Leitmotiv are you waste or compost? zum Verkauf und somit Gebrauch anbieten. In diesem soll der menschliche tote Körper gebettet werden und schnell wieder zu Natur werden. Der vergrabene Myzelsarg nimmt die Feuchtigkeit der Erde auf, der Körper soll sich somit effizienter kompostieren. Anstatt Boden zu verschmutzen, sollen die Pilze aus dem Körper Giftstoffe entfernen und diese Nährstoffe zugunsten einer grösseren Biodiversität zukommen lassen. Statt einer Zeitspanne von über einem Jahrzehnt, je nach Beschaffenheit eines konventionellen Sarges, vollzieht sich dieser Prozess in einem Myzelsarg in etwa 2 bis 3 Jahren, in der Praxis, bei niederländischen Bedingungen sogar innerhalb von 30 bis 45 Tagen. 

Schliesslich kann das wachsende und sich vernetzende Myzel mit den daraus entstehenden Pilzen als lebendige Organismen zu Bedeutungsträgern und Vorbildern werden, als lebende Einheit, wachsend, fruchtend mit folgendem Prozess des Zerfalls. Dies vermittelt eine Erfahrung, dass jegliche Existenz von Transformation und Veränderung geprägt ist.

loop-of-life.com

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Jeder von uns ist ein Biotop, so sinnigerweise
Krautjunker (Jeder-von-uns-ein-biotop).