Für beide Seiten vorteilhaft ist der Mutualismus. In einer mutualistischen Symbiose ziehen Lebewesen zweier Arten aus ihrer Wechselbeziehung beide einen Nutzen. Im Zentrum steht hier aber nicht die Symbiose, also das Dauerhafte. Die Beziehung kann auch sporadisch sein, als sogenannt «nichtsymbiontischer Mutualismus». Es geht konkret um die Reziprozität der Beziehung, was ein Prinzip der Gegenseitigkeit bezeichnet, das wir vom Tauschhandel kennen.
Der Mutualismus wurde zuerst in der wirtschaftlichen Emanzipation verwendet. Arbeiter und Handwerker in Frankreich gründeten ab den 1820-Jahren Gesellschaften und Kassen zur gegenseitigen Unterstützung (secours mutuel), die sie auch in Aufständen verteidigten. Der Anarchist Pierre-Joseph Proudhon übernahm 1865 das Prinzip des Mutualismus für seine Konzeption des Sozialismus. Er anerkannte keine zentrale Lenkung, sondern bestand darauf, dass alle gesellschaftlichen Beziehungen nach dem Grundsatz freiwilliger Gegenseitigkeit geregelt werden sollten, und initiierte so den Flügel der Mutualisten in der Arbeiterbewegung. Heute kennen wir diesen Begriff noch immer, z.B. von der Krankenkasse Mutuel, die auf die Société de secours mutuels (1852) in Saint-Maurice (VS) zurückgeht.
Wieder in die Ökologie findet das gegenseitige Verhandeln zwischen Mensch und Natur im «Parlament der Dinge», das der französische Soziologe Bruno Latour 1999 als Entwurf einer politischen Ökologie einführte. Er suchte herkömmliche Unterscheidungen wie Natur und Gesellschaft, Subjekt und Objekt oder menschliche und nicht-menschliche Akteure zu überwinden. Die Autorin Marielle Macé verbindet dies 2019 mit dem altgriechischen Dichter Ovid, denn dieser habe bereits «das erweiterte Parlament» geschaffen, «das wir heute gründen müssen, dieses Parlament, das auf der politischen Bühne Menschen und Nichtmenschen vereint, Menschen und Tiere, Flüsse, Steine, Wälder...».
Michael Hiltbrunner, für Schimelrych bis Chrottehalde – Kunst und Natur in Laufenburg, 2024.
Michael Hiltbrunner