Article blob/g

Das Amadou der Fliegenfischer

18.02.2023

Das Amadou der Fliegenfischer
Hinter dem klingenden Wort Amadou versteckt sich eine Anwendungsvariation des Zunderschwamms. Sogar unter Fliegenfischern sind die überragenden Eigenschaften von Amadou nicht allen bekannt.

Nur für gut eine Stunde reichen die Sonnenstrahlen über die Bergkette bis hinunter ins Tal an den Lauf des Flusses. Die Luft bleibt im winterlichen Schatten knapp unter null Grad. Aber die Sonne vermag in diesen wenigen Minuten am Nachmittag diesen feinen Frost zu vertreiben und den Wesen in und am Fluss in einem flüchtigen Zauber einen Schub von Lebensenergie zu geben. Ich geniesse die Wärme im Gesicht und schaue übers leise dahingleitende Wasser. Da, plötzlich ein Ring an der Wasseroberfläche. Und dort gleich ein zweiter im bisher unbelebt wirkenden Fluss. Im Gegenlicht der Sonnenstrahlen leuchten mehr und mehr feine, helle Eintagsfliegen auf, wie sie aufsteigen und über Wasser fliegen. Auf diesen Schlupf haben die Äschen gewartet. Und ich ebenso, ohne zu wissen, dass er wirklich kommt. Jetzt gilt es, keine Zeit zu verlieren. Ich schaue in meine Fliegenbox und wähle eine winzig kleine, helle Trockenfliege, die ich aus Entendaunenfedern gebunden habe. Entendaunen haben eine ausgeprägte natürliche Schwimmfähigkeit, die vom Fett des Bürzels kommt, welches das Federkleid der Enten so intensiv wasserabweisend machen. In bedächtigen Schritten wate ich durchs Wasser und spüre dessen auskühlende Wirkung durch die Wathose eindringen. Ich schwinge meine Rute und lasse die Schnur mit der delikaten Fracht meiner Fliege am Ende des feinen Vorfachs durch die Luft schräg stromauf zu einer der steigenden Äschen segeln. Die Schnur senkt sich und die Fliege landet auf der Oberfläche, wo sie von der Strömung erfasst und mitgetragen wird. Das Sonnenlicht hilft, dieses kleine, helle Pünktchen im Auge zu behalten. Jeden Moment kann die Äsche hochsteigen und sie einschlürfen. Nichts. Ich muss weiter werfen, damit der Fisch die Fliege früh genug sehen und überhaupt erreichen kann. Also auf ein Neues. Diesmal gelingt es besser und meine Fliege verschwindet nach kurzer Zeit in einem aufspritzenden Strudel. Ich strecke vorsichtig meine Schnur und fühle die jugendliche, lebhafte Kraft der Äsche. Allzu gross kann sie nicht sein. Das konnte ich schon an den ungestümen Wasserspritzern beim Nehmen der Fliege erkennen. Die kleinen Äschen sind oft die ersten, die Nahrung an der Oberfläche einnehmen. Ich führe sie behutsam in meine Nähe. Ein wunderbares Geschöpf, das ich mit der Drehung meiner die Fliege greifenden Hand noch im Wasser befreien und seinem Element überlassen kann.

Zunderschwamm (Wikipedia)

Zunderschwamm (Wikipedia)

Ich schaue meine Fliege an. Sie ist getränkt vom kühlen Nass und hat wohl auch etwas vom Schleim der Äsche abbekommen. So vermag die Fliege nicht mehr zu schwimmen. Ich wasche sie leicht im kalten Nass zwischen meinen Fingerspitzen und schüttle das Wasser von ihr ab. Jetzt schlägt die Stunde des Amadou. An meiner Jacke baumelt ein gefaltetes Stückchen Leder, das auf der Innenseite mit einem intensiv braunen, flauschigen und gleichzeitig zähen Material ausgeschlagen ist. Es wird aus dem Inneren des Zunderschwamms (Fomes fomentarius) gewonnen. Der Zunderschwamm ist einer der verbreitetsten, konsolenförmigen Baumpilze. Sein Name deutet auf die früher häufige Nutzung dieses Schwamms als Anzündmittel hin. 

Mon étui d'amadou

Mon étui d'amadou

Unter dem Namen Amadou hilft es mir als Fliegenfischer meine nasse Trockenfliege wieder trocken und schwimmfähig zu machen. Ich lege sie zwischen die Schichten aus braunem Zunder und presse sie mit den Fingern zusammen. Nichts saugt das Wasser so zuverlässig und schnell aus der gebrauchten Fliege wie Amadou. Ich blase mit zugespitztem Mund den Hechelkranz aus Entendaunen wieder in Form. Nun sieht sie fast aus wie neu und ich kann sie direkt weiterverwenden. Auch wenn ich die Fliege wechsle, sauge ich mit dem Amadou erst das überschüssige Wasser aus ihr und lege sie dann zurück in meine Fliegenbox. So bleibt sie für zukünftige Nachmittage am Wasser bestens vorbereitet und kann von neuem die Fische betören. Am Abend, zurück in der heimischen Wärme, trocknet das Amadou schnell komplett durch und ist ohne weitere Vorbereitungen wieder einsatzbereit, um mich bei neuen Begegnungen am Flusslauf zu begleiten.

Thomas Gränicher

So ist Amadou strukturiert

So ist Amadou strukturiert